**English below**
Geliebte Zweibeiner in meiner großen Schäfchenherde, ihr wendet eure Augen zu mir und sehet den, von dem euch das Heil kommt. Ich wiederum wende meine Augen zu euch und was sehen sie? Meine Günstlinge im Hafen und ihre Wegbegleiterinnen und Wegbegleiter, ihre Komplizinnen und Komplizen und ihre Freundinnen und Freunde, aber auch einige derer, die ihnen heimlich den Erfolg und die Subventionen neiden.
Ich sehe die, die meine Lieben hier ein längeres oder kürzeres Stück ihres Weges begleitet haben und ich sehe all die, die sich ihnen in den nächsten Jahren zugesellen werden. Ich sehe PrekariatInnen und SozialhilfeempfängerInnen zuhauf, das Low Life von Linz – und was ich sehe, gefällt mir. Warum? Weil Sünderinnen und Sünder einfach die interessanteren Menschen sind!
Ich sehe Beamtete und Wohlbestallte, Spesen- und GlücksritterInnen, Erfolgssuchende und Findelkinder, Erleuchtete und finstere Gestalten. Ein jeder unermesslich, ein jeder unvermeidlich! Herzlich willkommen – ich bin es, euer Gott.
Wie ihr wisst, habe ich die Welt in sechs Tagen erschaffen. Am siebenten Tag hab' ich mich aufs Ohr gehauen und am achten habe ich mich an euch gewandt und euch gesagt: ab jetzt seid ihr dran! Schöpft und schafft und macht so weiter. Und es begab sich, dass ein feuerspeiender Rollstuhlfahrer, ein mathematischer Australier, eine Steinmetzgerin und ein Vagabund mit musikalischer Ader diesen meinen Ruf hörten und ihm folgten. Sie ließen die Schrotthaufen, Container und von Flugrost zernagten Platinen auf dem Werksgelände der Voest hinter sich und zogen stromaufwärts in den Hafen, denn sie wussten: nur wer gegen den Strom schwimmt, gelangt auch zur Quelle. Ho!
Hier fanden meine lieben Schäfchen einen neuen abenteuerlichen Spielplatz am Rande der Stadt,
wo sie ihrer Liebe zum Wind und Wasser noch besser frönen konnten als nächst dem Stahlwerk. Hier brachen sie zu neuen Ufern auf und hissten die Piratenflagge mit der Sanduhr, die den fetten Handelsschiffen seit jeher anzeigt, dass die Zeit nun abgelaufen ist. Eben dies bedeuteten sie der Welt auch mit ihrem Namen, den sie sich gaben und der Time's Up lautet, was so viel bedeutet wie: Time's Up.
All diesen Aufwand trieben sie zunächst jedoch bloß für den Traum von einem Hyperfitness Studio, und als der Traum Wirklichkeit ward und ich die Maschinen dieses Ertüchtigungsraumes heimlich selbst probierte, da sah ich, dass es gut war und beschloss, meinen Piraten günstige Winde zuzufächeln. – Ja, und nun sitzen sie da, nach zwanzig Jahren, reiben sich die Augen und fragen sich, wohin die Zeit und wie es überhaupt gekommen ist, dass sie noch immer hier sind und gemeinsam werken. Doch wer den Himmel kennt weiß, dass ich durch Trunkenbolde und Lappalien tätig zu werden pflege und das Unmögliche möglich machen kann.
So ist es mit meiner bescheidenen Mithilfe im Hintergrund dazu gekommen, dass hier auf Erden ein Paradies mit Postanschrift Industriezeile 33b entstand. Der einzige Palmenhafen nördlich der Alpen, eine funktionsuntüchtige Marina voll schwimmunfähiger Boote: "Guter Einsatz, Wirkung null", wie mein Schatzl, der Leo, weiland so treffend sprach und damit auf den Punkt brachte, was ich mir mitunter selber denke, wenn ich mir anschaue, wie wenig ihr Menschen aus den Gaben macht, mit denen ich euch bedacht habe. Oh Menschheit, seufze ich da im Stillen oft für mich, würdest du dir bloß ein Beispiel an Time's Up nehmen:
Geh doch du auch so herrlich frisch und unbedarft ans Werk wie das Grüppchen im Hafen mit seinen vielen Freundinnen und Freunden in aller Welt! Lass Liebe und Leidenschaft walten, lächle dem möglichen Scheitern freundlich zu, spiel aus ganzem Herzen, verschreib dich dem Ausprobieren, wag dein Glück und erfreu dich am Denken! Fürchte die und das Fremde nicht, sondern geh hinaus in die Welt und mach sie dir vertraut! Lass dich nicht von vermeintlichen Gegensätzen blenden, sondern verbinde standhaft, was nicht zusammenzupassen scheint! Seien es nun Menschen, Interessen, Inhalten oder Ideen. Gib nichts leichtfertig auf, nur weil es unansehnlich, alt und überholt ist! Ehre den Uhustick wie das Macbook, befeuere den Lötkolben wie den 3-D-Drucker! Fürchte dich nicht vor Dilettantismus und sei nicht immer so "professionell"! Lebe gefährlich aus bestem Halbwissen und fast reinem Gewissen heraus! Gib dich dem Leben hin und frag nicht dauernd, ob du dereinst eh noch eine Pension bekommen wirst! Verschwende deine Zeit nicht mit schlechten Fernsehserien, schau lieber "Zeichnen – Malen – Formen: Wer bastelt mit?"
Es ist, meine Lieben, so wie ich es euch bereits durch die Bibel ausrichten ließ: "An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen." Und die Früchte im Weinberg von Time's Up sind mannigfaltig und schmackhaft! Sie haben die Maus aus dem Käfig hinter dem Bildschirm befreit, sie haben kleine Wunder der Technik geschaffen, sie haben euch viele Geschichten zum Selbererleben erzählt. Sie haben in ihren seeuntauglichen Schiffen alle Weltmeere befahren und sich mit anderen Piratinnen und Piraten zu einer Flotte der Lebendigen verbündet.
Doch schielt nicht nur auf die Früchte, denn die Früchte gehören, wie es schon die Griechen wussten, den Göttern, sprich: mir. Schaut, wie die Guten im Hafen mit ihren Pfunden gewuchert und wie sie ihren Weinberg bestellt haben. Hier lässt es sich leben! Und Leben heißt: Arbeiten, werken, bauen, schweißen, programmieren, erfinden, wohnen, müßig sein, denken, gastgeben, träumen … Sehet, wie hier alles mit allem verschmiedet ist: die Menschen mit- und untereinander, die Büros mit Elektronikkammern, die Metall- und Holzwerkstätten mit dem Arbeitszimmer samt inkludiertem Hochbett, die Kombüse mit dem Wagenpark, das Donauufer mit dem schönsten Swimmingpool südlich des Parkbads. Halleluja!
So beglückwünsche ich euch zum Geburtstag, meine lieben Kinder im Hafen. Mit 20 habt ihr für ein Gegenwartskunstkollektiv ein biblisches Alter erreicht, und es gefällt mir ungemein, wie standhaft ihr den Gang der Zeit ignoriert und euch immer noch jugendlich wähnt, wiewohl ihr vor zwei Jahrzehnten schon nicht mehr die Jüngsten wart! Mit Entzücken sehe ich auch zu, wie unbekümmert ihr eure Kontoauszüge überfliegt, obschon ihr rein buchhalterisch pünktlich zum Jubeljahr so pleite seid, wie es euch alle, die es auch in Zukunft immer schon gewusst haben werden, seit zwanzig Jahren prognostizieren. Oh, ihr Wankelmütigen und Kleingläubigen, ihr glaubt, time is up for Time's Up? Mitnichten, ihr Zweiflerinnen und Zweifler, mitnichten! Denn ich bin euer Hirte, und euch wird nichts mangeln, eine feste Burg und euer sicherer Hafen.
Darum sage ich euch: Sorgt euch nicht um euer Leben, was ihr essen werdet, noch um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung? Schaut auf die Vögel des Himmels: Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in Scheunen, und ich ernähre sie doch. Seid ihr nicht mehr wert als sie? Wer von euch vermag durch Sorgen seiner Lebenszeit auch nur ein Minuterl hinzuzufügen? Und was sorgt ihr euch um die Kleidung? Lernt von den Palmen am Hafenkai, wie sie wachsen: Sie arbeiten nicht und spinnen nicht, ich sage euch aber: Selbst König Franz in all seiner Pracht war einst nicht gewandet wie eine von ihnen.
Wenn ich aber die ganze Botanik so fesch kleide, die heute steht und morgen im urban garden von Time's Up kompostiert wird, um wie viel fescher statte ich dann euch aus, ihr Kleingläubigen! Sorgt euch also nicht und sagt nicht: Was werden wir morgen in der Time's-Up-Kitchen zu essen bekommen? Wird es noch für ein srilankesisches Curry reichen?
Oder: Was werden wir trinken? Geht sich noch ein Mojito mit lieben Freunden aus? Oder: Was werden wir anziehen? Hält uns der Blaumann noch am Leib? Denn um all das kümmern sich, mit Verlaub, die Heiden. Als euer himmlischer Vater weiß ich doch, dass ihr das alles braucht. Trachtet vielmehr zuerst nach meinem Reich und meiner Gerechtigkeit – bleibt also einfach, wie ihr seid – dann wird euch das alles dazugegeben werden. Sorgt euch also nicht um den morgigen Tag, denn der morgige Tag wird für sich selber sorgen. Daher lasst uns nun feiern, wie ich euch zu feiern gelehrt habe – Amen!
--- Schluss --
**English**
Dearest two-legged beings in my great herd of sheep, raise your eyes up unto me and you will see from whom salvation comes. I, on the other hand, turn my eyes to you, and what do I see? My minions down at the harbour and their companions, accomplices and friends, but also some of you who secretly envy their success and subsidies.
I see those who have accompanied my darlings along their way, for shorter or longer periods of time, and I see those of you who will be drawn in further in the coming years. I see droves of precarious characters and recipients of social benefits - the low life of Linz - and what I see pleases me very much. Why? Because sinners are quite simply the most interesting people!
I see the civil servants and the well-to-do, the expenses swindlers and happy-go-luckies, the success seekers and the foundlings, the enlightened and the gravest of beings. Each immeasurable in their uniqueness and inevitable in their sameness! A warm welcome to you all - it's me, your god.
As you know, I created the world in six days. On the seventh day I crashed out to chill and on the eighth day I turned to you and said: from now on it's up to you! Get on with it! And it came to pass, that a fire-spitting chap in a wheelchair, an Australian mathematician, a stone sculptress and a vagabond with a musical streak, heeded my call, and took action forthwith. They left the mounds of scrap, containers and plates covered in rust on the premises of voestalpine and forged upstream to the harbour, because they understood, that only those who swim against the current will reach the source. And Lo!
Here my darling lambs found a new adventure playground on the edge of the city,
where they could live out their passion for wind and water even better than next to the steelworks. From here they headed for new shores and hoisted the pirate flag with the sandglass, showing the fat commercial ships that the time is up. This in turn marked the official naming of the collective as Time's Up.
All this effort turned out to be merely fulfilling the dream of building a hyper fitness studio, and when the dream became reality and I secretly tried out the training machines in this studio, I saw that it was good, and decided that I would waft a favourable wind in my pirates’ direction. – And behold, now they are sitting here, twenty years later, rubbing their eyes and asking themselves where time has gone and how it has come to pass that they are still here and still working together. Those of you who are familiar with heaven, however, will know that I employ drunkards and bagatelles to make the impossible possible.
That is how, with a little help from myself, this paradise on earth came to be, at Industriezeile 33b. The only harbour with palm trees north of the Alps, a fully-functional marina full of seaworthy boats: "Good effort, zero effect", so once spake my treasure, Leo, which puts in a nutshell what I think when I look at how little you human beings have made of the gifts with which I have bestowed you. Oh humanity, I often sigh to myself, if only you could follow Time's Up’s example:
Why not set to work so beautifully fresh and clueless like the group in the harbour, with all their friends scattered all over the world! Let love and passion prevail, smile in the face of possible failure, play with your whole heart, prescribe try-outs, go all out and enjoy the thought process! Fear not the foreign, set forth into the world and familiarise yourself with it! Allow yourself not, to be blinded by apparent opposites, but unify with strength those that do not appear to belong together! Do this regardless of whether they are people, interests, contents or ideas. Never give up something easily, merely because it is unsightly, old and outdated! Pay homage to your UHU stick as you would your Macbook, give fire to your soldering iron and power to your 3D printer! Fear not amateurism and strive not to be so "professional"! Live dangerously on the best smattering of knowledge and an almost clean conscience! Dedicate your life to the task, and ask not whether you will ever get a pension. Throw away not your life on poor quality television shows, watch instead “How to become a top sculptor, painter, artist” online.
It is, my darlings, exactly the way my people have already told you through the medium of the bible: "You should recognise them by their fruit." And the fruit in the Time's Up vineyard are manifold and delicious! They have released the mouse from the cage behind the tv screen, that have created a small miracles of technology, they have told you many stories that you can experience yourselves. They have sailed the world's seas in their unseaworthy boats and together with other pirates they have formed a vibrant fleet.
But stop squinting at the fruit alone, because, as the Greeks already knew, that belongs to the gods, i.e. me. Look how those guys in the harbour are surrounded by goodness and how they have planted their vineyard. This is the way to live! Where “live” means: work, build, weld, program, invent, party, idleness, deep in thought, playing host, dreaming, etc. Just look at what has been created here: the people with one another, the offices with electrical chambers, the metal and wood workshops, including bunkbed, the galley with the trailer park, the river Danube with the most inviting swimming pool south of Parkbad. Hallelujah!
I congratulate you on your birthday, my darling children in the harbour. 20 is a biblical age for a contemporary art collective and I am truly impressed at how you steadfastly ignore the passage of time by staying youthful, although two decades ago you were already no longer the youngest people around! I am also delighted to see how carefree you are in viewing your accounts, although you are so broke in time for your anniversary that it seems you will have always known in advance and planned this result over the last twenty years. Oh you fickle and sceptical beings, you think that the time is up for Time's Up? By no means, you doubters, by no means! For I am your shepherd, and you will not want, a strong fortress and your safe harbour.
That is why I say unto you: worry not about your life - what you will eat, or your body - what you will wear. Is life not more than food and the body more than clothing? Look at the birds in the heavens: they sow nothing, they harvest nothing, they do not collect things in their barns, and yet I feed them. Are you not more worth than they? Which of you
would want to add even just one minute to your lifetime by worrying? Why would you worry about clothing? Learn from the palms on the harbour quayside, how they grow: they don’t work and they don't complain, but I say unto you: even Emperor Franz in all his glory was never clad as well as they.
If I dress up all the plants that stand today so that they can be composted tomorrow in the urban garden at Time's Up, how much better should I dress up you? You doubters! Worry not, and ask not: “What will we get to eat tomorrow in the Time's-Up kitchen? Will there be enough for a Sri Lankan curry?”
Or: “What will we drink? Do we have enough for a mojito with some close friends?” Or: “What will we wear? Is the boiler suit still in one piece?” Because all that is taken care of, if you please, by the Gentiles. As your heavenly father, I am quite aware that you need all that stuff. First you must seek my kingdom and my righteousness – remain as simple as you are – then everything will be taken care of. Worry not about the morrow,
for the morrow will look after its own little self. Therefore let us party, in the tradition that I have taught you to party! Amen!
--- END ---