Im Linzer Hafen, an den Arbeitsplätzen von Time’s Up, werden von den Mitgliedern des Kollektivs Prototypen entworfen und gebaut, die in ein Gesamtkonzept von »sozialer Hardware« passen. Die vielschichtigen Rahmenkonstruktionen aus Maschinen, Interfaces und Architekturge-bilden sollen Kausalitäten und Wechselwirkungen erfahrbar machen. Technologie sieht man hier nicht als eigentliches Medium, sondern als Werkzeug und Vehikel. Es geht um das Ersetzen, Erweitern und Verschie-ben von handelsüblichen Schnittstellen als auch um »andere Darstel-lungsmethoden«, was ein Arbeitsfeld zwischen Technologie, sozialer Relevanz und der Reintegration des Körpers absteckt. Weil es eben auch um ganzkörperliche Einbindung geht, finden sich anstelle herkömmlicher Eingabegeräte schon mal eine Schaukel, ein Fahrrad oder eine begehbare, transparente Kugel mit einem Durchmesser von 3 Metern. Anstelle von Bildschirmen können verteilte Audiosysteme dienen, am Boden an-gebrachte Leinwände oder weit über Augenhöhe montierte Plattformen, auf welchen sich durch Stimmeinsatz ferngesteuerte Kugeln tummeln.
Die einzelnen Zutaten, die für die Zusammensetzung der Arbeiten notwendig sind, stammen aus verschiedensten Disziplinen. Dementsprechend arbeiten projektabhängig sechs bis 30 Leute mit nicht nur einer Kompetenz: Berufliche Hintergrundfelder der Time’s Up AktivistInnen reichen vom herkömmlichen Kunstbackground etwa über Soziologie, Informatik, Mathematik, Metallbearbeitung, Komposition und können auch sehr gerne autark und ohne speziell abgeschlossene Ausbildung erarbeitet worden sein. Vertreten sind Time’s Up im Bereich Kunst und Kultur, bei Festivals und kuratierten Ausstellungen. Wo genau, in welchem engeren Segment – das will man der Beurteilung von KritikerInnen und JournalistInnen überlassen. Eine eindeutige Zuorden-barkeit erschwert sicherlich und geglückterweise, dass kulturelles Zitieren und Samplen undogmatisch und medial übergreifend erfolgt, in guter alter Popkulturtradition.
Time’s Up wurde 1996 als »Labor, das experimentelle Situationen konstruiert« gegründet, per Selbstdefinition an einer popkulturell/pseudowissenschaftlichen Schnittstelle von »Control«, »Perception« und »Biomechanics«. Der Begriff Pseudowissenschaft ist dabei Statement und Understatement?
Sowohl als auch. Aber keineswegs unumwerfliches Statement. Wir haben uns Mitte der 90er den Begriff Pseudowissenschaft schlichtweg geschnappt, um in einer pop-psychology Art und Weise für uns spannende Gedanken und interessante Ideologien weiter zu tragen. Die 90er waren eine schöne Zeit für einen allgemeinen re-use von Wissenschaft in Kunst- und Kulturkreisen. Man muss beispielsweise nur Deleuze und Guattari nehmen, die sich querfeldein durch verschiedenste Disziplinen, wie Mathematik, Complexity Science, Geologie bedient haben. Anfang des neuen Jahrtausends war es dann unter anderem Manuel de Landa, der durch eine Analyse der re-use-culture dieser sehr wohl auch kohärente Dimensionen abgewinnen konnte. Wir haben uns ebenfalls in diesem interdisziplinärem Vermengungs- und Verwebungshybrid bewegt, und bewegen uns da ja noch immer sehr gerne. In guter pop-psychology Manier haben wir damals unser eigenes »magisches Dreieck« mit den Spitzen »Control, Perception and Biomechanics« erdacht. Jedes pop-psy book hat ein solch interdependantes Dreieck, ob es »Gott-Staat-Volk« ist, oder »Sprache-Hirn-Bewusstsein«. Time's Up dient es als Erklärungs-modell und Propagandatool zu gleichen Teilen. Wobei wir, angeregt durch den Anthropologen Robert Fischer, den Begriff der Pseudowissen-schaft durch Protowissenschaft ersetzten. Seine Erklärung war dahingehend plausibel, als er meinte, dass wir mit unseren experimentellen Situationen den Menschen eine Welt anbieten, in der sie als Protowissen-schaftlerInnen aktiv werden können und eigentlich müssen. Die Leute erforschen die Welt und kommunizieren miteinander darüber, was sie dort vorfinden, wie diese funktionieren könnte, etc. - für Robert Fischer eine klare Vorgangsweise, welche er bei FrühwissenschaftlerInnen zu erkennen glaubte. Seine Wortkreation der Protowissenschaft haben wir gerne in unser Tun einfließen lassen.
»BodySpin« oder »Sensory Circus« mit den Teilelementen wie »Sonic Pong«, »Lightning District« und »Gravitron«: Es geht um eine direkte und körperliche Erfahrbarkeit von Technologie als soziales Medium, inklusive kulturellem Zitieren und Sampling. Könnt ihr einen Überblick über eure Projekte und deren Zusammenhänge geben?
Die erste Produktion von Time's Up war 1996 das Hyperfitness-Studio, welches unter vielerlei verschiedenen Namen über vier Jahre hinweg an verschiedenen Orten der Welt gezeigt wurde. Dem folgte BodySpin und dann kam Sensory Circus, dessen umfängliche Premiere 2004 zur Ars Electronica stattfand. Die Arbeiten von Time's Up bauen aufeinander auf. Wahrscheinlich würde keine Funktionsweise und Gestaltungsmethode der Elemente, ob nun im Hard- oder Softwarebereich, ohne die vorangegangenen Arbeiten funktionieren. Es gibt also Rahmenwerke, mehrere rote Fäden sozusagen, die wir immer wieder in unsere Gedankenexperimente und deren Umsetzungsversuche einweben. Unsere Arbeiten, also zumindest jene, welche wir als konstruierte, experimentelle Situationen einer Öffentlichkeit zur Verfügung stellen, versuchen architektonisch herausfordernd zu sein, genau wie sie medial angereichert sind oder auch interaktive Momente mit den vorgefundenen Maschinerien als auch mit anderen Benutzerinnen ermöglichen. Wichtig ist auch, dass die jeweiligen Situationen von sozialer Relevanz sind. Es geht nicht darum, sich eine Ausstellung, ein Werk, eine Arbeit anzusehen, es geht vielmehr darum, sich an einem Ort zu bewegen, der bestenfalls auf einzelne BesucherInnen einwirkt und auf den -vice versa- auch die BesucherInnen einwirken können. Kausalitäten zwischen Environment und BesucherIn sind ein immer wiederkehrendes Thema. Es gilt, ein Publikum auch zu verführen, es ein wenig anzustacheln. Die gebotenen Umgebungen sind haptisch erfahrbar, alslang sich jemand darauf einlässt, spielt, erforscht, sucht und ausprobiert.
»Sensory Circus« befindet sich als Gesamtkonzept und in den praktizierbaren Teilelementen sozusagen in offener Entwicklung, in Wechselwirkung zwischen Grundlagenforschung und Überprüfung durch ein Publikum. Bezüge zu Spielen, Improvisation und Theater sind aufgetaucht. Was ist euch an den konstruierten Feldern wichtig?
Dass sich diese von einer herkömmlichen Realität unterscheiden, während sie aber nicht darauf vergessen, an diese zu erinnern, diese zu zitieren und dadurch die Zugänglichkeit erleichtern. Wir sehen uns als »zur VerfügungstellerInnen« von konstruierten, inszenierten Situationen. Deren Funktionstüchtigkeit und -weisen setzen tatsächlich eine Überprüfung durch das Publikum voraus. Es macht schlicht keinen Sinn Eingabegeräte, ganze Umgebungen, audiovisuelle Applikationen, etc. zu schaffen, die dem Publikum gänzlich unverständlich und unbegreiflich bleiben. Insofern braucht es klare Wechselwirkungen und aktive Menschen, die aus sich herausgehen und Grenzen überschreiten, welche in der öffentlichen Sphäre nicht überschritten werden. Wobei wir unsere Umgebungen eigentlich als »semiöffentlich« verstehen: Orte, an denen die Besucher-Innen zu AkteurInnen werden. Orte, an denen sich die Bühne und eine herkömmliche Kategorisierung auflöst und die gesamte, architektonische, medial angereicherte Umgebung zum eigentlichen Feld wird. Ein alltägliches Theater, in dem alle, die sich daran beteiligen, ständig improvisieren und sich einbringen.
Wie setzt sich das Netzwerk von Time’s Up zusammen, woran und wo arbeiten die Leute? Wie positioniert ihr euch in der Szene, bzw. wie werdet ihr außerhalb wahrgenommen, als Linzer Kunst- und KulturproduzentInnen?
Vereinzelt sind wir hier in Linz geboren und sozialisiert. Andere sind zugezogen oder gar eingewandert in diese Stadt. Time’s Up ist nicht ganz unbewusst an der Grenze von Linz angesiedelt. Etwas abseits vom Stadtkern erfinden, entwickeln und produzieren wir im Hafengebiet in unseren Werkstätten und Labors. Innerhalb des Vereins bündeln wir unsere Interessen, kanalisieren Ideen in Projekte und legen Hand an. Wir präsentieren unsere Arbeiten dort, wo Interesse besteht, es finanzierbar ist und wir Lust dazu haben. Dies passiert weniger im Inland denn im Ausland. Weltweit haben wir PartnerInnen, mit denen wir uns austauschen und gemeinsam an Projekten arbeiten. Wir unterliegen mittelfristigen Förderungen seitens der öffentlichen Hand und sind als kleiner Verein der freien Szene zuordenbar, in der wir informell ein Netzwerk mitgestalten. Und... die Wahrnehmung von außen überlassen wir BeobachterInnen und JournalistInnen.
Abschließend die kulturpolitische Frage zu Linz09. Habt ihr eine Position zum Festival? Oder ein Projekt, über das ihr zum jetzigen Zeitpunkt etwas sagen könnt oder wollt?
»Be careful what you wish for, you just might get it«.
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Tanja Brandmayr ist Künstlerin, Autorin und arbeitet seit vielen Jahren und in unterschiedlichen Zusammenhängen mit Text, Medien und erweiterten Kunstformaten. Leitung und Programmierung Stadtwerkstatt. (Co)Betreibt die Zeitungen Referentin und Versorgerin.
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