Time's Up und mögliche Zukünfte
Wann findet die Zukunft eigentlich statt? Time's Up sagt: In der Gegenwart. Was jetzt getan wird oder eben nicht, wirkt später. Oder eben nicht. Alles andere ist ein interessantes Spiel, oftmals gekoppelt an Sehnsüchte und Wünsche. Der sehnliche Wunsch nach dem Geschichtsbuch des 22. Jahrhunderts wird daher unerfüllt und die entsprechende Leerstelle in der Bibliothek von Time's Up ungefüllt bleiben.
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Die Faszination für das Kommende liegt im turbulenten Jetzt – und in der wiederkehrenden Resignation, die sich im Denken an die eine, so riesige Zukunft einstellt. Dann schlägt die Zukunftslust in Zukunftsangst um, die von Prognosen und Expertisen stets emsig geschürt wird.
Leichter fällt es, sich intellektuelle Optionen offen zu halten und die Zukunft in der Mehrzahl statt in der Einzahl zu denken. Als Zukünfte eben. Zukünfte sind greifbarer, konkreter, gedanklich und gestalterisch leichter zu bewältigen und spielerischer in Erfahrung zu bringen.
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Der Blick in mögliche Zukünfte ist so wenig statisch wie die Zeit. In einer 360°-Bewegung schließt er die Vergangenheit ein, nimmt gegenwärtige Tatsachen wahr und tastet sich ins Wahrscheinliche, Mögliche, Denkbare vor. Zum Faible für die Welten von morgen gehört die Vorliebe von Time's Up für die weitgehend Zukunftsmusik gebliebenen Zukunftsszenarien von gestern und vorgestern. Vor allem die medienkünstlerischen Utopien und Erwartungen sind eines der Bergwerke, aus denen Time's Up kostbares Inspirationsmaterial gewinnt. Viele dieser weitgehend vergessenen Gedankenjuwele wären es wert, wieder aufgegriffen und mit den technischen Mitteln der Gegenwart poliert und neu gefasst zu werden. Ein Prinzip, das sich Time's Up unter umgekehrten Nachzeichen zu eigen gemacht hat, indem die Gruppe die zeitgenössische digitale Hochleistungsmaschinerie mit viel Liebe und Aufwand oftmals so unsichtbar wie nur möglich gemacht – und, wo es nur geht, durch vermeintlich obsolete Technik ersetzt hat, die bruchlos ins Universum des ingeniösen Utopisten Jules Verne passen würde.
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Inmitten des gedanklichen Vor- und Rückwärtspendelns in der Zeit hat das Interesse von Time's Up am Zeitlosen, am Außer- und Überzeitigen zugenommen. Die im Entwickeln von Narrativen gemachte Erfahrung zeigt, dass es oft ausgerechnet die Konstanten sind, die besondere Aussagekraft entfalten. Das allem Anschein nach gültige Prinzip: Umso hartnäckiger hält sich, je länger etwas schon verbreitet ist. Auch mehrfach Totgesagte - wie die Zeitung - machen in den Zukünften von Time's Up immer noch gute Figur.
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Das *futuring* selbst erfordert weniger Fachwissen, sondern viel eher ein lebhaftes Interessiert sein und Übung im Denken. Plausible Zukünfte zu ersinnen, ist ab und an auch hochgradig unterhaltsam. Wie schon die veralteten Zukunftsszenarien von gestern zeigen, sind das Seriöse und das Lächerliche voneinander nur haarbreit entfernt. Und wenn sich Vergangenes in der Zukunft wiederholt, dann bekanntlich oft genug als Farce.
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In der Zeit zu reisen ist auch eine besondere Form des Probehandelns und der Versuch, sich auf verschiedene Eventualitäten einzustellen. Allen apokalyptischen Anwandlungen zum Trotz bleiben die Time's Up-Autos zwar unbetankt, die bescheidenen Vermögen werden nicht unter dem Kopfpolster gehortet und auch die Mühe, Bunker zu graben und sie mit Wasser- und anderen Vorräten zu füllen, hat sich noch niemand aus dem Kollektiv gemacht.
Doch aus der Befassung mit allen möglichen Zukünften resultiert dennoch eine bestimmte *future preparedness*, ein nicht nur geisiges Gerüstetsein für so manche Eventualität. Die ist weniger ein Zustand, sondern vielmehr eine Art Prozess, der Leichtigkeit und Ernsthaftigkeit verbindet. Was das Weiterdenken der Gegenwart in Richtung Zukunft allemal ins Bewusstsein bringt, ist deren Gestaltbarkeit. Wer den Gang der Dinge ändern will, weil ihm oder ihr die nahende Zukunft missfällt, muss etwas ändern. Was? Oft nur kleine Dinge. Wann? Jetzt.
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Handeln findet aber nicht ohne das Denken statt, in dem es verankert ist. Daher ist die Art und Weise hochgradig wirksam, wie wir an und über die Zukunft denken. Jeder Gedanke macht einen Unterschied. Wer sich nur mehr Zukunftssorgen macht, erzeugt damit jene Angst, die genau die Zukunft erschafft, vor der wir uns fürchten. Das in die begehbaren Erzählungen von Time's Up gegossene *futuring* ist also nichts weniger als ein Werkzeug der Veränderung zum Guten.
Time's Up and Possible Futures
When does the future actually take place? Time’s Up says: In the present. What is or isn’t being done has effect later. Or not. Everything else is an interesting game, very often linked to wishes and aspirations. The longing wish for the history book of the 22nd century will remain unfulfilled and the corresponding absence in the Time’s Up library will remain empty.
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The fascination for what follows lies in the turbulent present, the now. And in the returning resignation that offers itself in the thought of such a large future. Then the passion for the future switches to the fear of the future that is being poked at by prognosis and expertise.
It is easier to keep intellectual options open that think of the future as a plurality rather than a singularity. Precisely as futures. Futures are tangible, concrete and on an intellectual and creative level easier to master and more playful to render as an experience.
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The view or perspective on possible futures flows as much as time itself. In a 360 degree movement it includes the past, perceives present facts and reaches into the probable, the possible, the thinkable. The worlds of tomorrow are one of Time’s Up's soft spots that have constructed dreams of the future as future scenarios of yesterday and the day before yesterday. Especially the utopia and expectations towards media art are one of the mines Time’s Up is gaining valuable inspirational material from. Many of these largely forgotten intellectual jewels would be worth polishing again with the new technical resources of the present and therefore redefining them. A principle that Time’s Up has made its own by taking contemporary digital high performance machinery and rendering it as invisible as possible by replacing it with seemingly obsolete technology, where it could integrate itself seamlessly into a universe of the ingenious Jules Verne.
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In the midst of the intellectual switching between past and present the interest of Time’s Up for the timeless the extra-temporal has steadily increased. The developing of narratives has shown that a special significance can be assigned to the constants. The apparently valid principle here is: What has sustained itself the longest, is distributed the most. Even media formats that have been declared dead such as the newspaper are still being integrated with great success into Time’s Up's works.
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The *futuring* itself requires less knowledge but rather a lively interest and practice in thinking. Sensing plausible futures is every now and again very entertaining. Just as the aged future scenarios from the past prove that the ridiculous and the serious are only slightly apart. And when the past repeats itself in the present then very often as a well known farce.
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Travelling in time is also a special form of rehearsal and the attempt to get used to different eventualities. Despite all of the apocalyptic moods the Time’s Up cars remain without fuel and the modest riches aren’t being collected under pillows. No one in the collective has yet been working on digging bunkers for water and provisions.
The analysis of all possible futures results nonetheless in a certain *future preparedness* which is not only a mental preparedness for many eventualities. This is less of a state as more of a process which combines lightness and seriousness. Continuously being able to think the present into the future as a form of consciousness is a matter of malleability. Those who want to change the course of things because the impending future is unpleasant has to bring about precisely this change.
What? Often only small things.
When? Now.
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Action cannot take place without the thought within which it is rooted. This is why the way in which we think about the future is very effective. Every thought makes a difference. Those who are always afraid of the future create precisely those fears that manifest themselves in the future we are afraid of. The *futuring* being poured into the accessible Time’s Up narratives is nothing less than a tool for the change for the better.